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Im Detail

Folgenden Text von Gustav Landauer werde ich weitgehend vollständig zitieren. Ich denke, dass er am besten für sich spricht.

Es ist für mich ein starkes Plädoyer:

  • für ein bedingungsloses Grundeinkommen
  • für flüssige Biografien anstelle von festgelegten Berufen
  • für Netzkultur, die Menschen verbindet und auf alle möglichen Bedürfnisse das passende Angebot zur Lösung liefert
  • für Netzkultur als kritisches Korrektiv, das verhindert, dass nur noch Unsinn produziert wird

Gustav Landauer “Anarchismus im Détail”
(Berlin, 1893)

Ich bin überzeugt, dass […] die Freiheit der beste Regulator ist. Es gibt nicht eine Buchbindergruppe [stellvertretend für eine beliebige Berufsgruppe; dies bringt Landauer in Gegensatz zum Staatsmonopolkapitalismus oder zur strikten Kollektivwirtschaft – jb], sondern jedenfalls eine große Zahl, und eine Konkurrenz zwischen diesen – im guten Sinne – findet unter allen Umständen statt, auch wenn es nicht materielles, sondern ein geistiges Streben ist, was die Einen veranlasst, den Anderen überflügeln zu wollen. Der Gedanke, dass Fachkenntnis, die auf einen bestimmten Kreis von Menschen beschränkt ist, eine Art ausschließliches Privateigentum mit sich bringe, ist nicht richtig: Denn bei der allgemeinen Erziehung, die wir erstreben und die ganz sicher ohne Volksschulzwang oder dergleichen Bahn brechen wird, sowie alle Schranken gefallen sind, wird es jedem jeder Zeit ziemlich leicht fallen, sich dem Arbeitszweig zuzuwenden, der ihm gerade zusagt. Ich sage ausdrücklich “Arbeitszweig”, aber nicht “Beruf”, denn ich glaube nicht, dass es in einer freien und vernünftigen Gesellschaft den Beruf in dem heutigen Sinne noch geben wird. Heute lernt einer ein Handwerk, damit er dasselbe sein ganzes Leben betreibt und davon lebt, aber schon jetzt, je mehr die Maschine an die Stelle des Menschen tritt, desto leichter kann einer aus dem einen Handwerk in das andere übergehen. Das wird in einem viel höheren Maße in Zukunft der Fall sein, wo der Mensch mehr Technik lernen wird, als Griechisch und Lateinisch.

Ich möchte aber die Aufmerksamkeit der Leser noch auf eine ganz besonders wichtige Art der Privataufträge lenken, nämlich auf Aufträge, die von Seiten derer, die sich künstlerisch und wissenschaftliche betätigen, erteilt werden. Wir streifen damit überhaupt die Frage der geistigen Arbeit, die in einem Gegensatz gestellt wird zu produktiver Arbeit. Der Einwand, dass es in einer freien Gesellschaft viele Faulenzer geben wird, soll hier nicht berührt werden. Aber wird es nicht viele geben, die zu arbeiten glauben, ohne dass es wirklich der Fall ist? Wird es nicht gerade wie heute auf geistigem Gebiet eine Unzahl Dilettanten gehen, die die geistig sich abmühen, ohne dass ihre Mitmenschen einen Genuss davon haben? Nun, ich befürchte das nicht. Es wird in einer zukünftigen Gesellschaft viel mehr, als es heute der Fall ist, öffentliche Kritik geben, und es wird auch viel mehr Selbstkritik geben. Ich bin optimistisch genug zu glauben, dass jeder Mensch, wenn die Schranken gefallen sind, einen Beruf im vernünftigen Sinne des Wortes haben wird, in dem er zu irgend etwas, sei es bedeutend oder nicht, wegen seiner individuellen Anlagen besonders berufen sein wird; darin wird er sein Genügen finden und wird nicht so verrückt sein, etwas tun, etwas tun zu wollen, was er nicht kann unter Vernachlässigung dessen, was er gerade als Individuum besonders trefflich kann. Es wird nichts mehr verloren gehen in einer freien Gesellschaft; alle Kräfte werden in der Lage sein, sich umherzutreiben im Spiel der Wirksamkeit.

Um aber nicht vom Hundersten ins Tausendste zu kommen: Wie werden die Erzeugnisse der geistigen Arbeiter zum Publikum kommen? Ein Dichter hat ein Werk vollendet, und er wünscht nun, dass es gelesen werde; wie wird es gedruckt und verbreitet werden? Ich warne wiederum davor, und auch manche Anarchisten warne ich zu sagen: Es wird alles gedruckt werden, ohne Prüfung, ohne Unterschied. Das heißt nichts anderes, als dass über der anarchistischen, der gesetzlosen Gesellschaft, das Gesetz schwebe: Es muss alles in Druck befördert werden. Andere werden vorziehen zu sagen: Die Sachverständigen werden darüber entscheiden. Wer ist sachverständig und wer nicht? Und sollen diese Sachverständigen etwa vom Volk gewählt werden? Dann entscheiden ja doch die Nichtsachverständigen, nämlich die Wähler. Nun wird man mich fragen: Ja, wenn Du das alles nicht willst, dann musst Du der Ansicht sein, dass die Drucker darüber entscheiden sollen, was zu verbreiten ist; und wäre das eine gerechte Entscheidung? Aber eben nicht die Drucker haben zu entscheiden, weil es ‘Drucker’ in diesem einseitigen Sinne nicht mehr gibt. Es gibt nur Menschen, die zu setzen und zu drucken verstehen – neben manchem anderen, dass sie auch noch vermögen. Der Dichter muss sich einfach Menschen suchen, die nach ganz freier Erwägung willens sind, sein Werk zu drucken, und ebenso der Komponist Musiker, die sein Musikwerk aufführen wollen. Die Menschen in einer freien Gesellschaft werden eben nicht mehr wie wilde Tiere einander gegenüberstehen; die Menschen werden sich suchen, und die Menschen werden sich auch finden. Nicht bloß weil sie aufeinander angewiesen sind, weil sie sich brauchen; sondern die Liebe wird herrschen unter den Menschen; und nicht mehr als Moralgebot wird die Liebe gefordert werden; sondern die Liebe wird etwas Selbstverständliches sein, von dem zu reden niemand mehr für nötig erachten wird.

Ich würde mich freuen, wenn diesder Betrachtung die Mitarbeiter und Leser zu einer Diskussion über diese und angrenzende Fragen anregen würden.

(Zitiert nach Gustav Landauer, Ausgewählte Schriften. Band 2, Anarchismus.)

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Alles fließt.

“mehr als verdoppelt. SUPER, zittern fuer rot-gruen. Wenn es nicht klappt haben es linken- und piratenwaehler vermasselt.” (Volker Beck)

“Was hat es mit den Parteien, dass sie sich aufführen, wie Fußballmannschaften, die gegen einander gewinnen wollen? (Medien auch so.)” (Marina Weisband)

“Wobei die Umstellung auf fließende Themenbündnisse ein gewaltiger Schritt innerhalb der bestehenden Parteiendemokratie wäre” (Boris Turovskiy)

Heute haben in ganz Deutschland mehr als hunderttausend Menschen gegen ACTA, das “Anti-Counterfeiting Trade Agreement” demonstriert. Für die Vertreter der etablierten Parteien scheint die Auflehnung so vieler der Bürger gegen die sogennante “Netzpolitik” wie ein Schock und in dieser Form völlig unerwartet gekommen zu sein. Meine Timeline ist voll von Zitaten, die dies nahelegen.

Jetzt geht der Politik endgültig der Arsch auf Grundeis. #acta #digitaleöffentlichkeit (@holadiho)

Das glaube ich auch. Und ich bin teile die Einschätzung von Till Westermayer über seine Partei, wenn er seufzt:

Und die Frage, was wir – Grüne, als “etablierte” Partei – diesen politisierten Jugendlichem anbieten können. Anders gesagt: fühle mich alt.

Ich will gar nicht anfangen zu lamentieren, wie sich die Grünen aus ihrer reflexhaften Technologiefeindlichkeit befreien könnten. “Programmcodes und Algorithmen, die Basis des digitalen Fortschritts” – schon beim Versuch, den Beschluss der Bundesdelegiertenversammlung “Offenheit, Freiheit, Teilhabe” vom November 2011 bleibe ich vor lauter postmodernem Kopfschütteln in den Phrasen stecken.

Auch mein stärker werdendes Gefühl von Opportunismus bei den Grünen, bei Netz-Themen einfach schnell noch aufzuspringen, möchte ich hier nicht vertiefen, auch wenn eine Grüne Landesregierung, die keinerlei Bedenken gegen den Einsatz von Trojanern hegt, den ACTA-Aktionen der Grünen zumindest ein Fragezeichen mitgeben. Zu den Grünen und ihrem Umgang mit den “Kindern der digitalen Revolution” empfehle ich Till Westermayers Post.

Demmokratie – darum geht es.

Dass es bei “Netzpolitik” oder “Digitalkultur” (was auch immer das eigentlich sein soll) einen Konflikt zwischen “etablierten” und “nicht-etablierten” gibt, ist nur ein Symptom für eine wesentlich tiefer gehende Unzufriedenheit.

Politische Arbeit in unserer repräsentativen Demokratie scheint sich nämlich irgendwie kaum vom Engagement in irgendwelchen anderen Vereinen zu unterscheiden. Statt sich der Themen anzunehmen, ist es zunächst wichtig, zu gewinnen, und zwar die jeweilige Wahl. Danach muss das Parteiprogramm und am Ende auch noch ein Koalitionsvertrag durchgehalten werden, da sich aus Sicht der Wähler nur an der Programmtreue messen lässt, ob die Partei auch tatsächlich das präsentiert, für was ich sie mit meiner Stimme zur Repräsentation beauftragt habe. Wenn die etablierten Parteien mehr “direkter Demokratie” fordern, so meinen sie damit in der Regel höchstens Volksabstimmung über vorgelegte Gesetzesentwürfe.

Die Willensbildung der Piratenpartei unterscheidet sich davon radikal. Jeder, auch ein Parteifremder, kann Vorschläge einbringen, die vollkommen offen diskutiert werden. Abstimmung, welcher Antrag angenommen werden soll, findet ebenfalls ohne Repräsentation direkt statt. Im System der Liquid Democracy werden also Menschen nicht zusammengefasst durch einen Vertreter repräsentiert, sondern jeder präsentiert sich selbst bzw. delegiert seine Stimme an einen anderen Wahlberechtigten, dem er das Urteil zutraut. Dieses Delegieren ist gilt fallweise und nicht pauschal; derjenige, dem ich meine Stimme übertrage, vertritt mich nicht dauerhaft.

Völlig logisch, dass auch in der parlamentarischen Arbeit keine Parteidisziplin oder kein Fraktionszwang durchzuhalten ist, sondern dass die Abgeordneten fallweise mal dem einen mal dem anderen Zustimmen werden, nicht aber aus der Raison eines Koalitionsvertrages, sondern ausschließlich nach dem Auftrag der Basis.

Ganz in diesem Sinne steht auch die Forderung, die Christoph Lauer im Berliner Abgeordnetenhaus gestellt hat: Schluss mit den Referentenentwürfen. Gesetze, die in der Verwaltung vorbereitet und im Parlament nur noch zur Abstimmung vorgelegt werden, sind selbstverständlich so ziemlich das Gegenteil von Liquid Democracy.

Und da ich nicht glaube, dass die etablierten Parteien diesen Schritt zu einer nicht mehr ganz so repräsentativen Demokratie mitgehen können, wird es ihnen mit allen Versuchen, sich an die “Netzkultur” anzubiedern, vielleicht nicht gelingen, die wirklich Unzufriedenen wieder einzufangen – denn denen geht es um weit mehr, als um kostenlose Downloads.

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Politik als Co-Creation

Jeder kennt das: man kauft ein Produkt und sofort fällt einem auf, was daran nicht so ganz 100% gut ist – oft Kleinigkeiten, bei denen man denkt: es wäre doch so einfach zu beheben! Problem: die Firma wird es in der Regel nie erfahren. Man könnte anrufen oder schreiben – aber in der Regel ist die Produktion schon so festgelegt – die Maschinen eingerichtet, die Werkstoffe eingekauft, dass kurzfristig selbst gravierende Schwächen nicht mehr auszugleichen sind.

Wie bekommt man das verteilte Wissen der Kunden ins Unternehmen? Und zwar rechtzeitig, schon bei der Entwicklung eines neuen Produkts? In vergangenen Zeiten hätte man Marktforschung gemacht. Man hätte sich einen Fragebogen ausgedacht, den potenziellen Kunden einen “Prototypen” gezeigt oder eine Gruppendiskussion geführt. Aber die Teilnehmer an der Forschung wären immer nur zufällig ausgewählt gewesen, irgendwelche Leute. Alternativ hätte man Berater oder Experten beauftragt, ein Gutachten zu erstellen, ob das neue Produkt tatsächlich den erwarteten Erfolg zeigen würde.

Co-Creation geht einen anderen Weg. Man beginnt mit einer sorgfälltigen Recherche im Netz, vor allem in Foren und anderen Social Media, welche Gespräche vielleicht schon über das betreffende Thema geführt werden. Dabei lernt man bereits viel über den “Stand der Technik” – aber vor allem: man findet wirkliche Experten, Menschen, die sich leidenschaftlich und vielleicht schon lange mit den Themen auseinandersetzen. Im nächsten Schritt schafft man eine Plattform, auf der die Menschen, die sich für das Thema interessieren, an der Entwicklung des neuen Produktes direkt beteiligen können. Experten oder Meinungsführer, die einem besonders wichtig sind, kann man explizit einladen, sich zu beteiligen. Statt also, wie früher, einen Prototypen im Labor zu entwickeln, dann Marktforschung zu machen und – mehr oder weniger auf gut Glück – das Produkt in den Markt zu werfen, hat man mit Co-Creation von anfang an die späteren Kunden an der Entwicklung beteiligt. Das Produkt entspricht genau ihren Bedürfnissen und alles mögliche Expertenwissen konnte in die Entwicklung einbezogen werden.

Klingt vielleicht Theoretisch? Viele der größten Unternehmen setzen seit Jahren Co-Creation zur Produktentwicklung ein.

Politik wird von Volksvertretern gemacht. Die sollen Entscheidungen treffen, die von Beamten in den Fach-Ministerien zusammen mit Experten aus Lobbygruppenn und Verbänden vorbereitet werden. Ob die Wähler mit der Entscheidung zufrieden sein werden, wird über Fragebögen erforscht. Diese Experten-Herrschaft, die Tatsache, dass die Abgeordneten eigentlich nur noch fertige Vorlagen abnicken, wird häufig kritisiert; zu recht! All das Wissen, all die Leidenschaft mit der sich viele Menschen mit den Themen auseinandersetzen, bleibt ungehört. Der Vorwurf, diese Experten-Politik sei zu weit von den Menschen entfernt, lässt sich nur schwer entkräften.

Warum also nicht Politik als Co-Creation betreiben? Die Einführung partizipativer Plattformen wie Adhocracy oder Liquid Feedback sind erste Schritte. Allerdings ist der Wissenstransfer in diesen Plattformen nicht das vorrangige Ziel, sondern die Unterstützung kollektiver Entscheidungsfindung. Warum also nicht den nächsten Schritt und auch das verteilte Expertenwissen der Menschen systematisch einbeziehen?

Die Hyve AG, spezialisiert auf co-Creation hat unlängst eine Abteilung ‘Open Government’ gegründet, die u.a. für die Bayerische Staatsregierung arbeitet. Jetzt sollte es darum gehen, kollektive Entscheidungsfindung und Co-Creation zusammenzufahren. Dann haben wir Politik 2.0.

Mehr zum Thema:

SPEAK WITH US NOT FOR US
Disrupt Politics!

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Höchste Zeit für verteilte Netze

I heard SOPA was going to break the internet so just did a *Save As* and put in on @dropbox. (seriously, get involved people)

Schnell noch ein Back-up für das Internet. Natürlich ist das ein absurder Vorschlag und – was brächte das schon? Das Netz besteht ja viel weniger aus den Inhalten als aus den Interaktionen und Verknüpfungen, aus der Kommunikation.

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Wikipedia ist mehr als eine Enzyklopädie

Wikipedia ist eine sehr nützliche Sache. Selbst hartnäckige Internet-Skeptiker sind in der Regel schnell von der Qualität und Inhaltsfülle überzeugt. Dabei ist der interessanteste Aspekt der Wikipedia für mich nicht, dass darin alles mögliche an Wissen gesammelt steht, sondern, wie es hineinkommt.

Jeder, der schonmal einen Artikel angelegt hat, weiß, wie es abläuft, etwas beizutragen. Du schreibst, und spätestens fünf Minuten später entbrennt eine heftige Diskussion, ob das überhaupt relevant genug für die Wikipedia sei. Oft zieht sich die “Löschdiskussion” über die vollen sieben Tage hin, die als Frist für eine Entscheidung gesetzt sind. Oft ist der Ton bis ans hysterische emotional und sogar beleidigend – auf beiden Seiten. Und dann: schließlich gibt es eine Lösung, einen zeitweiligen Konsens. Der Artikel bleibt oder wird gelöscht. Ist das Lemma, das Thema des Artikels grundsätzlich als relevant akzeptiert, läuft die Diskussion – meist weniger dramatisch – nochmals ab, wenn es darum geht, welche Aspekte zu einem Artikel gehören und welche nicht.

Ich habe oft über die schrecklichen Umgangsformen und die diskursive Dominanz einzelner auf Wikipedia geschimpft. Inzwischen bin ich überzeugt, dass es eine derartig starke Tendenz zur Selbstorganisation gibt, dass diese Probleme überwunden werden. Die Löschtrolle sorgen jedenfalls für ein “Survival of the fittest” – nur Artikel mit unbedingtem Überlebenswillen, werden ihre Meme an die nächste Generation vererben.

Es geht um Wahrheit. Es geht darum, was in der Gemeinschaft der Wikipedianer als Wahrheit akzeptiert wird. Wahrheit und nicht Meinung.

Damit ist Wikipedia ein interessantes Modell für eine neue Form Politik. Unter Politik verstehen wir heute das aushandeln von Kompromissen zwischen unterschiedlichen Meinungen. Bei Wikipedia geht es nicht um Kompromisse, sondern um Konsens. Es gibt kein “dealen” – kein “lässt du meinen Artikel stehen, lösch ich deinen auch nicht.” – Die Diskussionen bei Wikipedia sind deshalb so anstrengend, weil es sich um ein “Ringen um Wahrheit” handelt. (Bäh, dieser Jargon der Eigentlichkeit, aber hier passt er imo).

Politik als Wahrheitsprozess scheint uns nicht möglich. Wie sollten die vielen unterschiedlichen Meindungen der Wähler zu einem “Allgemeinen Willen” zusammengefasst werden, außer über Kompromisse? Aber vielleicht gab es bisher nur kein System, keine Struktur, in der eine Politik der Wahrheit möglich gewesen wäre.

Ich glaube, dass ein “politisches Wikipedia” gute Chancen hat, Politik neu zu erfinden. Deshalb glaube ich an den Erfolg von Liquid Democracy.

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“Keinen Beschluss”

Die Fraktion hat keinen Beschluss für oder gegen esoterisches Heilertum. Die Fraktion lehnt Germanische neue Medizin ab. (piratenfraktion-berlin.de)

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SPEAK WITH US, NOT FOR US.

Direkte Demokratie: präsentieren statt repräsentiert werden.

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Urheberrecht, Kulturproduktion, Grundeinkommen

“Sinn und Zweck des Urheberrechts ist die Sicherstellung von ökonomischen und ideellen Anreizen zur kreativen Arbeit.” Dieser Satz aus dem Antrag “Für ein modernes Urheberrecht” auf dem Bundesparteitag der Piratenpartei beschreibt in der Tat den ursprünglichen Gedanken, in dem das erste Copyright 1709 mit der Statute of Anne in England Gesetz wurde:

“An Act for the Encouragement of Learning, by vesting the Copies of Printed Books in the Authors or purchasers of such Copies, during the Times therein mentioned“

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Über die Folgen, die der Zerfall der Urheberrechts-Verwertung auf Kreativität und Kulturproduktion hat, habe ich schon ein paar mal geblogt (“Non Commodity Production” oder “Virtueller Rundfunk“). Kunstproduktion funktioniert seit zweihundert Jahren in der spannungsreichen Symbiose von “Künstler-Unternehmern” einerseits und Verlagen/Galerien andererseits. Beiden Seiten garantiert das System ihr wirtschaftliches Auskommen – sofern es sich um professionelle Künstler handelt. Professionell ist dabei ein Zirkel-Begriff, da berufsmäßiges Künstlertum genau dadurch definiert wird, dass der Künstler einen Markt hat. Neben bzw. über dem Markt steht ein System der Kunstförderung mit staatlichen Mitteln. Dieses System funktioniert genau wie wir es auch von der Finanzierung von Wissenschaft kennen: Gremien verteilen die Gelder, die man über einen Ausschreibungsprozess für sein Projekt beantragt.

Ob Wissenschaft oder Kunst – ich habe in meinem Leben keine unproduktivere und unkreativere Arbeit gemacht, als Gelder über diesen Prozess öffentlicher Förderung zu beantragen. Für ein Projekt mit zwei Jahren Laufzeit kann man üblicher Weise von 12 bis zu 18 Monate intensiver Antragsarbeit veranschlagen. Dadurch werden diejenigen systematisch bevorzugt, die über eine Infrastruktur zur Bewältigung der anspruchsvollen juristischen und inhaltlichen Logistik des Antragsprozesses verfügen: Künstler bzw. Wissenschaftler, die vorher schon erfolgreich waren oder die an Universitäten und Akademien den wissenschaftlichen Mittelbau dafür ausbeutennützen können. (Auch darüber habe ich hier schonmal geschrieben.) Meist sind die Mittel noch an Kriterien gebunden, die politisch und nicht inhaltlich motiviert sind. Ein Beispiel sind die Staatsgemäldesammlungen, die mit ihrem Etat streng Künstler aus allen Regionen eines Bundeslandes gleichmäßig ankaufen müssen; ein zweites Beispiel sind Mittel der EU-Kommission, die nur genemigt werden, wenn Institute aus mindestens drei EU-Ländern sich beteiligen.

Aber der Hauptnachteil dieser subventionierten Künste und Wissenschaften ist: es gewinnt immer das Mittelmaß; Innovation, wirklich umwälzende Neuheit hat so gut wie keine Chance auf Förderung. So waren es so gut wie nie die verbeamteten Kuratoren der staatlichen Museen, die wirklich signifikante Sammlungen angelegt hatten – das sind so gut wie immer private Sammler.

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Während das alte Verwertungssystem zerfällt, erhebt sich gleichzeitig etwas Neues: die Mittel zur Kreativ-Produktion und Veröffentlichung stehen mehr und mehr Menschen zu immer geringeren Kosten bereit. Gleichzeitig steht praktisch alles, was erzeugt wird und wurde, allen jederzeit zur Verfügung. Durch diese beiden parallelen Entwicklungen – ‘jeder ein Künstler’ und ‘alles schonmal dagewesen’ wird die Schöpfungshöhe relativiert, aus der sich im bisherigen Verständnis die Schutzfähigkeit von geistigen Leistungen ableitet. (Was daraus für die Kreativberufe folgt, steht z. B. hier). Kreative Arbeit wird von viel mehr Menschen geleistet, als je zuvor. Aber es sind nicht mehr notwendiger Weise die ‘großen Würfe’. Das heutige Finanzierungssystem ist nicht darauf ausgelegt.

Wie in vielen Bereichen, ist auch bei der Subventionierung von Wissenschaft und Kunst unser Staatswesen darauf gebaut, die Menschen zu repräsentieren, das heißt einzuschließen, zu umschließen, zu homogenisieren. Und selbst der sogenannte Minderheitenschutz und das Pluralitätsgebot gehen davon aus, dass man die Menschen innerhalb dieser Minderheiten bzw. Teilmengen der Gesellschaft zusammenfassen kann. ‘Wir wissen, was gut für euch ist’ – so funktioniert das repräsentative System. Es ist autoritär, selbst wenn die Repräsentaten gewählt werden. Vieles in unserer Gesellschaft funktioniert nach diesem Prinzip, ob es die vielbeschriebene “Gate-Keeper”-Funktion journalistischer Redaktionen ist, ob kommunale Ausschüsse für “Kunst im Öffentlichen Raum” oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG.

Netzkultur jedoch sperrt sich gegen das Repräsentiert-Werden. Das liegt daran, dass sich im Netz jeder selbst präsentieren kann. Ein auf Repräsentation fußendes Finanzierungsmodell wie die heutigen Subventionen ist damit genauso ungeeignet, wie der auf signifikante Schöpfungshöhe basierende Schutz geistiger Leistung.

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Das Recht der Menschen auf Sozialhilfe leitet sich in Deutschland aus dem Artikel 1 des Grundgesetzes ab. Mit der Sozialhilfe muss die Gesellschaft allen Menschen im Land ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Es steht also nicht zur Diskussion, ob unsere Gesellschaft auch für die Menschen sorgt, die – warum auch immer – aus dem wirtschaftlichen Raster fallen. Aber Sozialhilfe wird – genau wie die Gelder für Wissenschaft und Kunst – auf Grundlage des repräsentativen Systems verteilt. Menschen müssen sich qualifizieren, müssen sich als geeignet erweisen, um die Hilfe zu erhalten – was im Kern schon gegen den Gedanken einer allgemeinen Sicherung der Würde verstößt. Nicht zuletzt aufgrund der entwürdigenden Schikanen, die bedürftigen Menschen durch Hartz-IV aufgezwungen werden, um zu überleben, und die daraus folgende Finanzierung eines Molochs an staatlichem Verwaltungs- und Überwachungsapparat, wird schon länger die Alternative eines bedingungslosen Grundeinkommen diskutiert: die Zahlung eines Grundbetrags von Geld an jedermann, unabhängig, ob sich der Empfänger dafür als geeignet bewiesen hat, oder nicht.

Ich möchte aber hier gar nicht auf die schwierige und hochgradig ideologisch aufgeladene Debatte des Für und Wider des bedingungslosen Grundeinkommen eingehen. Mir geht es um eine Nebenwirkung, die ein solches Angebot für unsere Gesellschaft haben könnte: das bedingungslose Grundeinkommen wäre gleichzeitig die Grundfinanzierung für kreative Innovation. Für fast alle Künstler, Wissenschaftler und auch für viele der Unternehmensgründer, die ich kenne, wäre eine Existenzsicherung durch ein bedigungsloses Grundeinkommen eine enorme Erleichterung, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Und auch das sogenannte Übergangsgeld, welches Arbeitnehmern gezahlt wird, die ein eigenes Geschäft aufbauen wollen, wäre nicht mehr daran gebunden, dass deren Arbeitsplatz erst wegfällt. Es geht mir also um eine Alternative zum System der Subventionen einerseits und einer grundsätlichen Sicherstellung der Existenz, die den Einzelnen in die Lage versetzt, selbständig zu arbeiten.

Die Umstellung der kreativen, kulturellen Produktion vom repräsentativen System von heute, auf ein System, dass es die Präsentation des Einzelnen fördert, muss neben der Grundfinanzierung der Menschen ein Zweites sicherstellen: diskriminierungsfreien Zugang zu den Produktionsmitteln – und das sind heute vor allem die Plattformen zur Publikation, die CDNs, die in Wahrheit ‘Netzneutralität’ bedeuten und schließlich zu den Suchmaschinen, die die Produkte erst für andere sichtbar machen. Dieser zweite Aspekt sollte mit dem ersten komplementär durchdacht werden.

Die Rede vom “Diskutieren ohne Scheuklappen” wird meist von Leuten eingesetzt, um Abscheulichkeiten und Grausamkeiten in die Runde zu werfen und so den Boden für einen Kompromis zu ihren Gunsten zu erreichen. Im Fall des bedingungslosen Grundeinkommen stehen wir erst am Anfang der Diskussion. Weiten Teilen der Gesellschaft scheint es vollkommen undenkbar, einfach Geld ohne Bedingungen zu verteilen. Ich bin aber überzeugt, dass ein bedinungslose Grundeinkommen genau die Form ist, staatliche Sicherheit und Förderung vom autoritären, umschließenden “Vater Staat” auf die Netzkultur zu transformieren, die doch so ganz und gar auf Ermächtigung es einzelnen Menschen ausgerichtet ist.

Nachsatz

Der Grundgedanke von der Repräsentation durch den Staat im Gegensatz zur Präsentation des Einzelnen findet sich an einigen Stellen bei Alain Badiou (u.a. in “Das Sein und das Ereignis”). Badiou überträgt die aus der Mengenlehre entlehnten Begriffe vom “Einschließen”, “Zugehören” auf seine Ontologie und findet interessante Anknüpfungspunkte zur Dialektik von Öffentlichkeit/Privatheit bzw. Ökonomie und Politik bei Aristoteles und Marx/Engels. Ich habe leider bisher niemand gefunden, der diese Gedanken auf eine “post-demokratische” Gesellschaft und Netzkultur überträgt. Auch Badiou entfaltet nicht explizit eine politische Theorie aus seinen Überlegungen, sondern verharrt – verständlicher Weise – im Gegensatz von Kapitalisus/Kommunismus seiner Zeit. Gerne möchte ich an diesem Punkt weitermachen. Falls als jemand passende Quellen kennt, wäre ich dankbar für einen Hinweis!

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